„September“ ist kein melancholisches Herbstalbum, sondern ein Statement über Aufbruch, Wandel und Dankbarkeit.
30 Jahre ist es her, dass Bassist Martin Wind seine Koffer packte und von Norddeutschland nach New York zog – ein Schritt, der sein Leben in jeder Hinsicht verändern sollte. Heute gehört er zu den wenigen deutschen Musikern, die sich dauerhaft im Schmelztiegel des Big Apple etabliert haben: als gefragter Bassist, Komponist und Pädagoge, geschätzt für seinen warmen, facettenreichen Sound und seine Musikalität. Mit dem Trio „Gravity“ – neben Wind der Saxofonist Peter Weniger und der Schlagzeuger Jonas Burgwinkel – hat er ein Format geschaffen, das seinem Namen alle Ehre macht.
Schon das Debütalbum „Gravity“ (2023, Laika Records) wurde international gefeiert. Das amerikanische „Downbeat Magazine“ zog gar Parallelen zu Sonny Rollins’ legendärem „Way Out West“. Nun erscheint das Nachfolgealbum „September“ – eine Produktion, die in den USA entstand und ihre emotionale Schwerkraft aus einem tief bewegenden Moment schöpft. Am Morgen des ersten Aufnahmetages starb Winds langjähriger Mentor Jim McNeely. „Sein Tod hat uns alle tief getroffen“, sagt Wind und ergänzt. „Gleichzeitig hat mich enorm beeindruckt, wie würdevoll er durch den letzten Abschnitt seines Lebens gewandert ist. Ohne Worte des Bedauerns, ohne Bitterkeit, sondern humorvoll und mit großer Dankbarkeit.“ Eine Stimmung, die auch das „Celebrating Jim McNeely“ Konzert im September dominierte, bei dem New Yorker Jazzgrößen wie der Gitarrist John Scofield auftraten.
„September“ ist ein Dialog zwischen Kontinenten, Generationen und musikalischen Temperamenten. Für die Aufnahmen stieß Winds langjähriger US-Weggefährte Scott Robinson (Tenorsaxofon & Klarinette) erstmals im Studio auf den Berliner Saxofonisten Peter Weniger. „Obwohl sie von anderen Kontinenten kommen und andere Roots haben, zeigen sie, dass sie sich perfekt ergänzen und blind miteinander harmonieren können“, beschreibt Wind den besonderen Reiz des transatlantischen Zusammentreffens. Solche Begegnungen prägen den Kosmos von „September“: melodisch, geerdet, voller Seele. Die Stücke erzählen von Bewegung, Wandel und Widerstandskraft – so wie sie auch in der Natur zu erleben sind, wenn nach dem Sommer die kräftigen Farben des Herbstes Einzug halten – eingefangen in der Komposition „Late Summer Lullaby“.
In Wenigers Opener „Dance with the Wind“ geht es um das Vertrauen in den Moment. „Der Wind lässt sich nicht bändigen, also tanze lieber mit ihm“, rät der Komponist. „Relay“ ist ein lässig rollender Stafettenlauf zwischen ihm und Scott Robinson, der den Geist des Hardbop in die Gegenwart trägt. „King of the Castle“ hat Bandleader Wind seinem Drummer Jonas Burgwinkel gewidmet, der „wie von einem Thron aus über seine Instrumente regiert“ – rhythmisch komplex, enorm groovend und doch mit einem natürlichen Flow. Der Titeltrack „September Serenade“ ist eine leise Verneigung vor dem jüngst verstorbenen Jim McNeely, während der Klassiker „Pro Zeca“ die brasilianischen Einflüsse und Musiker widerspiegelt, die Wind seit seinen Jahren in New York begleiten – unter ihnen der Drummer Duduka Da Fonseca. Der Rausschmeißer „Rugby“ entstand, nachdem sich Weniger in Irland von einer Partie des dortigen Nationalsports hatte inspirieren lassen. Das Stück entfesselt die Energie und Rauheit eines improvisierten Spiels: kantig, ungezähmt, teilweise dissonant, die Richtung wechselnd, elektrisierend.